Suchtmittel Tadelakt
Uralte Edel-Kalkputz-Technik aus Marrakesch neu entdeckt
Sehlem. Nun hat es auch Robert Pires erwischt. Der französische Fußballstar vom FC
Arsenal gehört zur wachsenden Schar von Prominenten, die dem Reiz des Tadelakt
erliegen. Der Hinweis des Herstellers kommt nicht von ungefähr: „Tadelakt macht
süchtig.“
Gert Ziesemann von der Sehlemer Firma Kreidezeit weiß, wovon er spricht, denn er hat
die marokkanische Putztechnik vor acht Jahren nach Deutschland importiert.
Inzwischen seien „35000 Quadratmeter reklamationsfrei unters Volk gebracht“, lautet
seine Bilanz. Badewannen, Duschen, Dampfsaunas, Wellnessbereiche und komplette
Bäder, auch Kunstwerke haben glänzende Tadelakt-Oberflächen bekommen. Sie
schimmern ein wenig wie Marmor, haben jedoch eine wärmere Ausstrahlung – und
fühlen sich auch „wärmer“ an.
Mit einer Gruppe von Architekten, Lehmbauern, Malermeistern, Maurern und Künstlern
ist ein Kreidezeit-Team Mitte der 90er Jahre zur Forschungsexkursion nach Marrakesch
aufgebrochen. Denn nur in der Nähe der Wüstenstadt findet sich der spezielle Kalk, der
für das ursprüngliche Tadelakt verwendet werden konnte. Es existieren scheinbar keine
schriftlichen Quellen, doch mündlichen Auskünften der Marokkaner zufolge gibt es
diese Kalkputz-Technik schon seit der Antike. Damals wurde sie zur Abdichtung von
Trinkwasser-Zisternen verwendet, später hat man sie in den orientalischen Bädern, den
Hammans, und sogar in Palästen ausgeführt.
Für europäische Qualitäts- und Geschmacksansprüche hat das Original-Tadelakt
jedoch Nachteile: Oft zeigen sich deutliche Risse, denn die Sieblinie lässt zu wünschen
übrig. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Materialforschungs- und Prüfanstalt
(MFPA) ist es dem Kreidezeit-Anwendungstechniker Ulrich Bettentrup gelungen, den
Kalk zu modifizieren und die Probleme zu beheben. Die Sieblinie wurde geändert, der
Bindemittelanteil reduziert. Unter anderem wurden Quarzsand und Marmormehl in die
Rezeptur aufgenommen, so dass nun keine Risse mehr entstehen können. Das
Ergebnis: Ein rein mineralischer, hoch beständiger und wasserdichter Putz für den
Innen- und Außenbereich, der zudem diffusionsoffen, desinfizierend, unempfindlich
gegen Schmutz und geruchsneutral ist.
Neben dem optimierten Rohstoff liefert Kreidezeit auch das Knowhow für die
Verarbeitung. Die Firma kooperiert eng mit knapp 100 Handwerkern, Künstlern und
Architekten aus ganz Deutschland und den angrenzenden Ländern. Regelmäßig trifft
man sich in Sehlem zum Erfahrungsaustausch, außerdem organisiert Kreidezeit
einmal im Jahr Studienreisen für Profis und andere Interessierte nach Marrakesch. Dort
können sie die Ursprünge des Tadelakt kennen lernen, die traditionelle Herstellung und
Verarbeitung des Kalks unter die Lupe nehmen, die Arbeit mit dem Originalmaterial
ausprobieren.
„Das ist wirklich nichts für den Baumarkt“, fasst Geschäftsführer Gert Ziesemann
zusammen. Die Verarbeitung erfordere fachliche Kompetenz und eine künstlerische
Hand. Als Untergrund benötigt man einen hydraulischen Kalkputz. Die Tadelakt-
Oberfläche wird in zwei Lagen mit der Venezianerkelle oder der Traufel aufgetragen,
mit einem harten, glatten Stein (z.B. Basalt oder Achat) poliert und dabei verdichtet, mit
Glätteseife überzogen und noch einmal nachpoliert.
Schon durch die Bearbeitung mit dem Stein entstehen Tönungen, die bei
unterschiedlichen Lichtverhältnissen immer neue Farbwirkungen erzeugen. Zudem
kann das hellgraue Ausgangsmaterial in fast allen denkbaren Farbtönen pigmentiert
werden. Der Form- und Farbgebung des Tadelakt sind somit kaum Grenzen gesetzt.
Robert Pires’ Badewanne ist nicht zur Besichtigung freigegeben. Wer Tadelakt kennen
lernen möchte, hat aber beispielsweise in Frankfurt Gelegenheit dazu. Auf dem Platz an
der Alten Oper hat die Oldenburger Künstlerin Martina Wempe mit der Künstlergruppe
KAB die „Antipode“ realisiert: Eine gold schimmernde Kugel mit sechs Metern
Durchmesser, deren Oberfläche in Tadelakt-Technik poliert worden ist. Nähere
Einblicke in die Welt und die Möglichkeiten des Tadelakt soll ein Bildband gewähren.
Die Veröffentlichung ist für den kommenden Herbst geplant.

Text von Kreidezeit